Zum Spruch der Vermittlungskommission der RK Ost
Zuerst die schlechte Nachricht für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum, die nicht z. B. Ärzte oder Schwestern sind: Es gibt weniger Lohnerhöhung, als sie möglicherweise erhofft haben. Das Verfahren ist bekannt: Zuerst gibt es eine Einigung der Tarifpartner im öffentlichen Dienst, dann tagt die Bundeskommission, dann die Regionalkommissionen, dann wird der Tarif mehr oder weniger und immer verspätet übernommen. Wenn es keine Einigung gibt, gibt es eine Vermittlung. Oder nicht. Oder dann doch, ganz plötzlich, wie jetzt.
Die Arbeitnehmervertreter in der AK Ost haben gestritten, die Arbeitgebervertreter haben auf ihrem Vorschlag beharrt. Dann kam die Vermittlung, aber…
Erst gescheitert, dann doch noch ein Spruch
Am 7. November 2013 endete die zweite Sitzung des erweiterten Vermittlungsausschusses in Fulda ergebnislos. Die Arbeitgeberseite hatte sich erneut keinen Zentimeter bewegt. Die beiden Vorsitzenden stellten fest, dass sie keinen für beide Seiten akzeptablen Vermittlungsvorschlag vorlegen können und erklärten die Vermittlung für gescheitert. Die Vermittlung schien beendet, aber…
Dann ein plötzlicher Wandel. Die beiden Vorsitzenden haben nach dem Ende des Vermittlungsverfahrens auf Druck der Arbeitgeberseite nun doch noch einmal zu einer Sitzung nach Berlin am 17. Dezember eingeladen. Sie haben das gescheiterte und somit abgeschlossene Vermittlungsverfahren wieder aufgenommen! An dieser aus Sicht der Arbeitnehmerseite missbräuchlichen Praxis wollte sich die Arbeitnehmerseite nicht mehr beteiligen.
Am 17. Dezember standen erneut die immer gleichen Forderungen der Arbeitgeber auf der Tagesordnung, die zuletzt mehrfach in Abstimmungen abgelehnt worden waren. Sie wurden letztlich in Abwesenheit aller vier Vertreter der Mitarbeiter mit den Stimmen der Arbeitgeber und der beiden Vorsitzenden durchgesetzt.
Welche Parität?
Wo bleibt da das Paritätsprinzip? Wenn eigentlich beide Seiten gleich vertreten sein sollen und die eine Seite nicht da ist, kann dann die andere Seite entscheiden? Möglicherweise ja. Eine Regionalkommission wäre laut Geschäftsordnung nicht beschlussfähig, wenn nicht die Hälfte von beiden Seiten (Arbeitnehmer und Arbeitgeber) anwesend ist. Ob das für den Vermittlungsausschuss zu übernehmen ist, bleibt zu überprüfen.
Welche Gerechtigkeit?
Abgesehen von der formalen Kritik ist dem Vorschlag der Arbeitgeber einiges vorzuwerfen. Das Tarifgebiet Ost umfasst bekanntlich die so genannten „neuen“ Länder und Hamburg und Berlin. Die Arbeitgeber haben das Prinzip „Teile und herrsche“ doppelt angewandt und nicht nur den ohnehin besser Verdienenden mehr zugestanden, sondern darüber hinaus das Tarifgebiet geteilt. Nach ihrem jetzt möglicherweise gültigen Vorschlag verdienen die Arbeitnehmer im Osten jetzt viel länger viel weniger als die in den so genannten „alten“ Bundesländern. In Sachsen ist es noch einmal weniger. 25 Jahre nach der friedlichen Revolution und 24 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich als Dienstnehmer einer Kirche in einem Land sehen und schon ein halbes Arbeitsleben oder länger Entbehrungen auf sich genommen haben, damit es hier weiter geht.
Ein Arbeitgeberspruch
Wie erklärt man das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Vor allem denen, die nach der plötzlichen und wundersamen Einigung erst später oder keine Lohnerhöhung bekommen, weil sie „im Osten“ leben, weil sie zu den unteren Lohngruppen gehören oder beides zugleich? Gerecht ist anders. Und was nützt der Dritte Weg, wenn die Dienstgeber ihre Verhandlungsmacht erbarmungslos ausspielen und die Idee des Verfahrens, nämlich im Gespräch der beteiligten Parteien paritätisch eine gemeinsame Lösung ohne Arbeitskampf zu finden, ad absurdum führen?
Das Ganze in Zahlen
- Nullrunde für die „unteren Lohngruppen“ (Anlage 2 (auch 2a-d): VG 9a-12, Anlagen 31, 32: VG Kr3a und Kr4a)
- Plus 3 Prozent für die Anlage 32, für die Auszubildenden in Anlage 7 und für den Sozial- und Erziehungsdienst in der Anlage 33 (ohne Kindertagesstätten)
- Plus 3,5 Prozent für die Mitarbeiter in der Anlage 2, auch 2a-d
- Plus 5,1 Prozent für den Sozial- und Erziehungsdienst Anlage 33 (Nur Kindertagesstätten)
- Plus 6,3 Prozent (Bundesland Hamburg) bzw. 4,7 Prozent (restliche Region) für die Anlage 31
- Übernahme des Bundesbeschlusses von Juni 2012 für die Ärzte ab 1.1.2013
- 29 bzw. 30 Tage (ab 55) Urlaubsanspruch ab 1.1.2013
- 94 Prozent (Ost) bzw. 97 Prozent (West) Urlaubsgeld (nur Anlage 2)
- Keinerlei Ausgleich für Verluste seit dem 1.7.2012
- Anlage 2: (auch 2a –d): 1.1.2014 (+3,5%), dies gilt auch für die Mitarbeiter in der Stadt Berlin, die noch unter die zweifelhafte Sonderregelung Berlin (Anhang C) fallen.
- Anlage 30: 1.1.2013 (Tarifabschluss MB/VKA für 2012: +2,9%)
- Anlage 31: Nur Bundesland Hamburg: 1.4.2013 (+3,2%), 1.1.2014 (6,3%),
- Übrige Region: 1.4.2013 (+2,4%), 1.1.2014 (+4,7%)
- Anlage 32: Nur Bundesland Sachsen: 1.7.2014 (+3,0%)
- Übrige Region: 1.4.2013 (+1,5%), 1.1.2014 (+3,0%)
- Anlage 33: Nur Kita: 1.4.2013 (+2,6%), 1.1.2014 (5,1%)
- Nicht Kita: 1.4.2013 (+1,5%), 1.1.2014 (+3,0%)
- Anlage 7: 1.4.2013 (+1,5%), 1.1.2014 (+3,0%)
- H-Gruppen (Nur im Bundesland Berlin): 1.4.2013 (+1,5%), 1.1.2014 (+3,0%)
Die Einschätzung der Regionalkommission Ost
- Statt einer Angleichung erhöht sich der Abstand zu den Vergütungen, die in den anderen Regionen Deutschlands gezahlt werden, teilweise ganz erheblich. Dort haben alle Mitarbeiter, auch die „unteren Lohngruppen“, eine Erhöhung um 6,42 Prozent bereits erhalten.
- Die rechtswidrigen Bestandteile des Spruchs des erweiterten Vermittlungsausschusses der letzten Tarifrunde bleiben bestehen.
- Die Vergütungserhöhung für die „unteren Lohngruppen“ wurde auf dem Altar des Dritten Weges geopfert.
- Gleichwertige und vergleichbare Tätigkeiten werden jetzt höchst unterschiedlich vergütet, angeblich nach „Marktlage“.
- Die Steigerungen gleichen bei den meisten Mitarbeitern nicht die Inflation der letzten beiden Jahre aus. Folge: Die Realeinkommen sinken!
- Das jetzt ohne unsere Mitwirkung zustande gekommene Ergebnis soll scheinbar zeigen, dass der Dritte Weg doch irgendwie und irgendwann Ergebnisse liefert.
- Im Prinzip soll der Dritte Weg dem fairen Interessenausgleich dienen. Die Arbeitgeber bestimmen jedoch die Spielregeln, an die sie sich selbst nicht halten müssen. Die Arbeitnehmerseite ist machtlos und hat im kirchlichen Rechtsweg keine Möglichkeit, rechtswidrige Ergebnisse prüfen und verändern zu lassen. So kann nur der einzelne betroffene Mitarbeiter seine Rechte vor staatlichen Gerichten einklagen.
- Die vorgegebenen Strukturen haben erneut zu einer deutlichen Benachteiligung der Arbeitnehmer in der Region Ost geführt.
Die AK verweist auf eine persönliche Erklärung von Hans Georg Ruhe, dem Vorsitzenden des Erweiterten Vermittlungsausschuss der Regionalkommission Ost, die auf Hintergründe verweist und die wir im Wortlaut wiedergeben:
17.12.2013
Erklärung vor dem Erweiterten Vermittlungsausschuss der Regionalkommission Ost am 17.12.2013 anlässlich der Vorlage eines gemeinsamen Vorschlages durch die beiden Vorsitzenden zur Übernahme des Beschlusses der Bundeskommission vom 28.6.2012
Ich habe mich in dem zu Ende gehenden Verfahren nicht als Anwalt einer Seite, sondern als Mittler verstanden und muss jetzt erkennen, dass dieser Vermittlungsversuch im Kern gescheitert ist.
Es fällt mir deshalb schwer, in Abwesenheit der Mitarbeiter-Vertreter/innen gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Schmitz-Rode dennoch den vorgestellten Beschlussvorschlag zu unterbreiten.
Ich warne davor, die Entscheidung der Mitarbeiterseite gegen die Beschlussintentionen und gegen die Teilnahme an dieser Sitzung als Bockigkeit, Kalkül oder gar Zerstörungsversuch des Dritten Weges zu werten.
Sie sagt hingegen etwas aus über die Situation, die Mitglieder der Kommission hergestellt haben: Zerstörtes Vertrauen, mangelnde Kommunikation, fehlende Kompromissbereitschaft, Vorbehalte bis in den persönlichen Bereich.
Der Dritte Weg basiert auf Vertrauen – nicht auf Macht, Zwang, Listigkeit, exorbitanten Zumutungen oder Abhängigkeit.
Was heute auf dem Tisch liegt, ist aus meiner Sicht nicht ausgewogen. Es ist lediglich machbar und aus der Situation heraus notwendig, wenn man dem Dritten Weg nicht irreparablen Schaden zufügen will.
Insbesondere kritisiere ich dieses am Beschlussvorschlag:
- Die Rückwirkung ist unzureichend geregelt. Dass verantwortliche Dienstgebervertreter offenbar der Meinung sind, man müsse für die Zeit der Tarifrunden keine Rückstellungen bilden, ist mindestens unverständlich.
- Das jahrelang über die tatsächliche oder vermeintlich nicht marktgerechte Bezahlung der unteren Lohngruppen geklagt wurde, die Regionalkommission Ost aber erst jetzt dem Auftrag der Politischen Erklärung der Bundeskommission nachkommt und die Situation analysiert, ist ebenso mindestens unverständlich. Es lässt mich daran zweifeln, ob je ernsthaft verhandelt werden sollte. Offenbar haben die Dienstgeber- und Mitarbeitervertreter hier auf den Konfliktweg gesetzt bzw. auf die Vermittlung in je eigener Weise gehofft.
- Dass die Dienstgeberseite mit dem fehlerhaften Vermittlungsspruch der letzten Vermittlungsrunde agiert in dem Wissen, dass der gewonnene Vorteil unrechtmäßig zustande gekommen ist, scheint mir die bedeutendste Ursache für den Vertrauensbruch zu sein. Ich kann die Wut der Mitarbeiterseite verstehen.
Es gibt klare Versäumnisse, die offenbar von der Bundesebene zu verantworten sind:
- Der Zuschnitt des Tarifgebietes ist ökonomisch nicht sachgerecht und macht das Finden von Kompromissen zusätzlich schwer.
- Die Regelungen der AK-Ordnung sind lückenhaft und erzeugen Verfahrensunsicherheiten – zuletzt erkennbar an der unterschiedlichen Interpretation der in Fulda entstandenen Situation.
- Dass es keine Möglichkeit gibt, juristisch fehlerhafte Entscheidungen zu kassieren, skandaliert zusätzlich.
Die Bundesebene lässt das Tarifgebiet Ost allein und tut deutlich zu wenig, die Situation zu verändern.
Wäre der vorliegende Beschlussvorschlag ausschließlich eine innere Angelegenheit der Region Ost, hätte ich ihn nicht mit vorgelegt. Es ist schwer auszuhalten, dies dennoch gegen die Mitarbeiterseite und auch einer offenbar immer breiter werdenden Basisbewegung zu tun.
Ich lege den Beschlussvorschlag jetzt mit vor, weil ich sonst Schaden für das Tarifregelungssystem der Caritas und Kirche befürchte. Dieser Schaden wäre größer als der, der durch die heutige Entscheidung verursacht wird.
Ich vertraue darauf, dass die in der Präambel geäußerten Erwartungen der Vorsitzenden von der Regionalkommission Ost erfüllt werden. Sollte dies nicht geschehen, wird es unter meiner Mitwirkung in einer künftigen Vermittlung keine dritte Zwangsentscheidung gegen die Mitarbeiterinteressen geben.
Ist der Dritte Weg noch zu retten?
Und wie sollte es anders gehen? Die spezifische Situation im Bistum, in den gesamten „neuen“ Bundesländern, gebietet, am Dritten Weg festzuhalten. Die Alternative wäre nämlich der Erste Weg: Alle Vereinbarungen würden einzelvertraglich geregelt. Dabei ist keine Gerechtigkeit zu erwarten. Der Zweite Weg, nämlich dass zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Tarifverträge ausgehandelt werden, ist noch nicht gangbar. Der Grund ist ganz einfach: Viel zu wenige Dienstnehmer sind gewerkschaftlich organisiert. Noch nicht einmal unter den Mitarbeitervertretern gibt es einen nennenswerten Prozentsatz an Gewerkschaftern. So bleibt nur der Dritte Weg, auch wenn im aktuellen Verfahren gezeigt wurde, dass er möglicherweise nicht der Goldene Weg ist.
Wie weiter?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vor allem ihre gewählten Vertreter sollten jedoch einmal darüber nachdenken, ob es nicht doch sinnvoll ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Das schafft mehr Optionen, mehr Handlungsfreiheit. Und darüber hinaus sollten Dienstgeber einmal darüber nachdenken, ob es wirklich nötig ist, dass in keinem Bundesland z. B. Altenpflege so billig ist wie in Sachsen. Vielleicht sollten die nächsten Verhandlungen über Pflegesätze und Vergütungen auch im Sinne der fleißigen und qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geführt werden. Es kann ja nicht das Ziel der Einrichtungen oder der Poltitk sein, dass irgendwann doch noch alle in den Westen gehen. Wo kämen wir denn dann hin, hier im Bistum?
Die gute Nachricht?
Die fällt leider aus. Zwar bringt der Spruch Verbesserungen für einige Mitarbeiter, jedoch nicht für alle. Und vor allem ist er das falsche Signal zur falschen Zeit.
Und so wird das ganze wieder auf den schwächsten Gliedern nämlich den Mitarbeitern der unteren Lohngruppen „der ungelernten Arbeitskräfte“ ausgetragen werden.
„Not sehen und handeln“ ein Leitsatz der Caritas – diesen sollten sich die Dienstgeber vor Augen führen, und wach werden, was sie ihren Mitarbeitern antun wenn Ihre Beschlüsse in die Vermittlung gehen.
M.J.